Z: Was ist in euren Augen das Besondere am Hellseatic? Wie würdet ihr das Festival jemandem beschreiben, der noch nicht da war?
Dave: Wir wollen ein vielfältiges Programm, ohne klassischen Headliner, für Menschen, die Lust haben, was Neues zu entdecken. Und wir wollen von diesem Metal-Begriff wegkommen, obwohl wir natürlich auch Metal im Programm haben. Wir haben das mit Heavy Music umschrieben: düstere, harte Musik, aber von ganz unterschiedlichen Bands.
Andrea: Wir sind bei der Auswahl nicht mit Genrebegriffen losgelaufen, im Sinne von ›Wir brauchen jetzt noch eine Black-Metal-Band‹ oder sowas. Der rote Faden ist eher so eine musikalische Gesamtästhetik, die eine düstere Atmosphäre transportiert. Und die kommt ja in vielen Stilistiken. Und natürlich buchen wir gerne Bands, die noch Underground sind und suchen nach Rohdiamanten.
Z: Ihr bespielt den ganzen Schlachthof, oder?
Dave: Ja, in erster Linie die Kesselhalle und den Magazinkeller. In einem kleineren Raum findet ein Kontrastprogramm statt. Da läuft nur Musik, die mit Metal eigentlich nichts zu tun hat. Zum Beispiel Bubble Wrap Trap aus Israel, das ist so eine Groove-Jazz-Geschichte, die Band hat früher Oldschool-Hip Hop gemacht. Außerdem haben wir Illrakete und die Weidenmeisen, die spielen ein Mischung aus World Music und Drum’n’Bass. Das soll dann nochmal eine andere Welt werden, für die, die sagen, ich bin mit Metal jetzt für ein, zwei Stunden erstmal fertig.
Z: Im Programm findet man Bands, die eventuell bald schon größer werden, wie die Black-Metal-Hippies Agriculture oder eine schon bekanntere, tiefschwarze Band wie Ultha. Wie ist denn die Resonanz bisher?
Dave: Bei dem SOS-Aufruf, den wir machen mussten, weil zu dem Zeitpunkt zu wenig Karten im Vorverkauf weggegangen sind, war das schon ein Kritikpunkt, dass die Leute der Meinung waren, wir buchen zu wenig große Bands. Aber das ist einfach nicht die Idee vom Hellseatic.
Ramin: Wir gehen glaub ich ein bisschen mutiger ans Booking ran als andere und hoffen einfach, dass die Leute das annehmen und der ganzen Geschichte eine Chance geben. Nur weil man eine Band nicht kennt, heißt das ja nicht, dass die schlecht ist.
Wir wollen hier auch mehr machen als einfach nur Musik zeigen.
- Andrea
Z: Aber einen Bremen-Schwerpunkt habt ihr nicht, oder?
Andrea: Nee, es macht keinen Sinn, mit den vielen schon existierenden kleineren Festivals in Konkurrenz zu gehen. Man braucht kein zweites Überseefestival, man braucht auch kein zweites Burning Q. Wir wollten für Bremen etwas kreieren, das eine überregionale Strahlkraft hat und überregionales Publikum anzieht. Und viele Bands holen, die noch nicht hier gespielt haben.
Z: Ihr macht das ja alle ehrenamtlich. Was ist denn eure Motivation, euch neben allem anderen – Arbeit, Familie, eigene Bands – auch noch ein Festival aufzuhalsen?
Ramin: Einfach Leidenschaft, würd ich sagen. Ich bin ja selber auch in zwei Bands tätig. Geld kommt dabei ja nicht rum.
Sven: Also für mich ist die wichtigste Motivation tatsächlich die Szenebildung hier in Bremen. Wir haben eine sehr große, aktive Musikszene mit vielen Bands, die geilen Scheiß machen. Aber ein großer Spielplatz für Heavy Music, der hat bisher gefehlt.
Z: Wie nehmt ihr die Szene für harte Musik in Bremen denn gerade wahr? Sven, du spielst bei Mörser, ich schaue in deine Richtung.
Sven: Es gab schon immer eine große, lebendige Szene für Gitarren- bands in Bremen. Carol und natürlich ACME und Mörser, um auch meine eigene zu nennen. Bremencore ist selbst in Japan noch ein Begriff. Aber die Bremer Szene war immer schon sehr bescheiden. Saprize waren damals gerade zur richtigen Welle am Start mit dem Crossover-Hip-Hop- Kram. Rumble Militia waren auch unheimlich wichtig damals.
Z: Und heute?
Sven: Bremen ist nach wie vor eher bescheiden. Wir haben eine ganze Subkultur, die wahnsinnig viel zu bieten hat, aber nach außen hin kaum Darstellung findet. Heute sind Mantar die bekannteste Bremer Metalband. Die spielen immer noch oft mit Bremer Flagge auf der Bühne.
Dave: Mit Judas Hengst, Final Plague und Penetractor spielen auch drei Bremer Bands auf dem Hellseatic.
Andrea: Es gab früher in Bremen auf jeden Fall mehr Auftrittsorte. Das ist ja ganz entscheidend für eine lebendige Szene. Auch für Bands, die den Schritt über die Stadt- und Landesgrenzen hinaus schaffen, braucht es ja erst mal in der eigenen Umgebung Räume, in denen Konzerte stattfinden. Da hat sich ganz stark was verändert.
Sven: Wir haben weniger Räume, die eine relativ professionelle Bühnensituation bieten. Das heißt, wir haben sehr viele kleine subkulturelle Orte, wo du halt einfach hingehen und drauflos spielen kannst und Wagenplätze, die es früher nicht gab. In vielen Kneipen finden inzwischen Konzerte statt. Die Friese oder auch das Sielwallhaus haben alle das Problem, dass sie wegen Nachbarn nicht fünf Shows im Monat machen können. Die sind da sehr limitiert worden.
Ramin: Die Räume sind eigentlich da, und die Veranstalter würden auch jeden Tag Konzerte machen, wenn sie das dürften.
Sven: Das Sportamt ist außerhalb, die haben das Problem nicht. Die Zollkantine auch nicht, die sehe ich ein bisschen als die Ablösung vom Wehrschloss. Man darf auch nicht vergessen, wir hatten eine Pandemie, die hat viele Leute rausgehauen, die wissen gar nicht, weil sie noch zu jung sind, wie man überhaupt ausgeht. Das muss ja erstmal gelernt werden. Also ich würde sagen, es gibt heute wahrscheinlich drei oder vier Mal so viele Bands wie damals. Aber damals gab es politische Debatten, Ziele, die man miteinander geteilt hat.
Z: Der Spirit war ein anderer?
Sven: Man hat sich Räume geteilt, die auch eine Art Safe Space waren, vor dem Rest der kapitalistischen Gesellschaft. Heute habe ich das Gefühl, geht es vielen Bands viel mehr so um ›Wir wollen halt professionell Musik machen‹, aber man ist menschlich und politisch seltener mit einer Szene verbunden.
Z: Das könnte man aber auch als eine Art Erfolgsgeschichte erzählen. Diese Debatten über Sexismus im Musikbusiness und auf Konzerten, Safe Spaces und so weiter, das ist ja ein Veranstalterstandard geworden. Und das ist vielleicht auch deswegen so, weil in der Subkultur jahrzehntelang vorgearbeitet worden ist. Da könnte man sagen, ›Okay, das ist halt in andere Bereiche diffundiert‹. Spielen solche Fragen beim Hellseatic denn eine Rolle?
Andrea: Ja, wir wollen hier auch mehr machen als einfach nur Musik zeigen. Wir beschäftigen uns mit dem Themenkomplex ›Grauzonenbands‹ und arbeiten an einem Leitfaden für Backroundchecks. Wir befassen uns also nicht nur mit der Musik, sondern auch mit dem, was da dranhängt und damit, was die Menschen, die diese Musik machen, für Werte vermitteln. Wir haben auch eine Türpolitik, die anders ist als bei anderen Metal-Festivals. Wir lassen zum Beispiel Leute mit Frei.Wild-Patches nicht rein. Also die Menschen sind herzlich Willkommen, aber das Bandlogo muss draußen bleiben. Wir möchten schon an der Tür klarmachen, dass es nicht egal ist, was Bands für Ansichten haben und verbreiten. Der Dialog und die Sensibilisierung für dieses Thema stehen dabei im Vordergrund.
Dave: Im Black Metal zum Beispiel treiben sich zurzeit viele Leute mit so Edgelord-Ideen rum. Wenn eine Band fürs Festival in Frage kommt, schauen wir eben erst einmal, was die so von sich gegeben haben. Wir wollen aber auch keine Plattform für politische Positionierungen sein, außer die für uns selbstverständliche Ablehnung von Faschismus und Ausgren-zung.
Z: Und die Situation jetzt? Ihr hattet wie gesagt einen Aufruf gestartet und drauf hingewiesen, dass das Hellseatic auf der Kippe steht.
Dave: Der Aufruf hat eine super gute Resonanz gehabt und ist sehr oft geteilt worden. Wir haben auch noch mal mehr Tickets und Merch ver-kauft. Es hat halt nicht ganz gereicht. Wir gehen jetzt mit Privatrisiko in die Veranstaltung rein, sind aber guter Dinge, dass wir in den Wochen vor dem Festival nochmal Tickets absetzen. Dass das Hellseatic stattfindet, ist jetzt total sicher.