Wie war es in Bremen, als ihr angefangen habt? Gab es eine bestehende Szene oder befreundete Bands vor Ort?
Hanno: Ich bin schräg gegenüber vom Wehrschloss aufgewachsen, ab 1996 war ich bei jedem Wehrschloss-Konzert. Das war früher einer der Plätze in Bremen für alle möglichen Genres. Nachmittags bin ich oft rüber, um die PA aufzubauen und konnte mir abends die Konzerte umsonst ansehen. Da habe ich übrigens auch Erinç kennengelernt. Früher fand dort das für die Heavy-Szene wichtige OFF-Festival statt, die Älteren werden das noch kennen, das war legendär. Erinç hat dort 1996 mit seiner Band gespielt und ich war schwer beeindruckt von seinem Schlagzeugspiel. Seitdem sind wir befreundet und ich wollte immer gern mit ihm Musik machen. Als wir die Band gegründet haben, waren wir tatsächlich schon beide in Hamburg. Erinç war Türsteher auf dem Kiez, ich war zuvor lange in Südostasien unterwegs, um da die lokale Underground- Szene kennenzulernen. Ich habe dort schnell Anschluss gefunden und gesehen, dass die Szene dort ganz anders funktioniert als bei uns. Die konnten sich kein Vinyl oder CDs leisten, das ganze Game funktionierte nur über Tapes. Bei jedem Konzert war aber volles Haus und es war eine extrem gesunde Szene. An einem Abend habe ich dort eine originale Kassette von unseren Freunden von Mörser gefunden. Für mich waren das gefühlt alles ›Zeichen‹ und als ich zurückkam, habe ich Erinç gefragt, ob wir eine Band gründen und ein Demo-Tape aufnehmen wollen.
Hattet ihr überhaupt von Anfang an vor, eine ›Karriere‹ zu starten?
Was ich sagen kann, ist, dass wir das Ganze mega ernst genommen haben. Als wir Mantar gegründet haben, waren wir beide schon über 30 – vorher habe ich Musik gemacht, die niemanden interessiert hat. Dann habe ich zu Erinç gesagt, dass wir das jetzt richtig durchziehen. Vom ersten Demo-Tape ging’s rüber zur ersten Platte, die direkt über Svart Records aus Finnland ein Hit wurde. Wir haben dann gemerkt, dass da irgendwie Druck drauf ist. Direkt im ersten Jahr haben wir eine Tour mit Inter Arma aus den USA gespielt, haben international Festivals und die erste US-Show in Gainesville im ersten Tour-Jahr gespielt. Anderthalb Jahre vor Mantar war ich quasi obdachlos, konnte mir keine Wohnung leisten, weil ich nur Musik gemacht habe und die auch nicht brauchte, weil ich nur auf Tour war. Nachdem wir unsere Jobs verloren haben, haben wir alles andere verkauft und uns einen Bus gekauft. Wir hatten sicherlich Glück, aber wenn ich das in der Retrospektive betrachte, sind Talent und Glück eigentlich immer der kleinste Teil. Der größte Teil ist, so doof das klingt, mega viel Arbeit. Bis heute haben wir keine Merchandise- oder Publisher- Rechte abgegeben, jedes Shirt, jeder Patch, alles geht immer noch durch Erinçs Hände und er macht das nach wie vor aus seinem Wohnzimmer, wie seit Tag 1. Ich mache das Management für die Band. Jetzt haben wir halt mit Metalblade das Label und eine Booking-Agentur. Das ist aber auch ein Grund, warum wir Geld verdienen – wir spielen so auch kommerziellere Venues und Festivals, wie zum Beispiel auch den Schlachthof oder auf dem Wacken Open Air. Wenn Bands sagen, sie wollen das nur DIY und Underground halten, ist das was, was ich total respektiere, für mich war das aber nie ein Interessenskonflikt, dass ich für das, was ich mache und liebe, auch bezahlt werde. Ich würde es nicht missen wollen, dass ich mit meiner Musik Geld verdienen kann, aber das war bei Mantar in keiner Weise Antriebsgrund.
Am Anfang von Mantar hatte ich mehrere E-Mail-Adressen mit falschen Namen – habe mich gleichzeitig als Booker, Manager, als Musiker ausgegeben und die Leute waren verwundert, was für ein großes Team hinter Mantar stecken muss.
Wann hattet ihr den Punkt erreicht, an dem ihr gemerkt habt, dass Mantar über eine lokale Bedeutung hinauswächst? Was hat sich da verändert?
Sofort. Wir sind die Sache von Anfang an so angegangen, dass wir gar nicht die lokale Band bleiben – eine lokale Szene ist ja häufig auch immer sehr für sich, wir dachten, dann sind und bleiben wir hier verankert. Wir haben ein paar Shows in Hamburg gespielt und dann ging es direkt international los. Wir waren zuerst in Spanien und Portugal auf Tour und dann erst in Deutschland. Auch die ersten Merchandise-Orders über Bandcamp, wie die erste 7-Inch-Pressung, gingen sofort gut weg. Mit Bestellungen aus Australien, England und den USA haben wir gemerkt, dass das keine lokale Sache ist. Wenn uns die Leute überall hören wollen, müssen wir auch überall stattfinden.
Wenn du dich zurückerinnerst, gibt oder gab es in deinen Augen etwas, das die Szene in Bremen besonders macht?
Jeder, der sich in Bremen so ein bisschen auskennt – Stichwort Mörser – weiß, dass die Vorgänger von Mörser Bands wie ACME, Carol und Systral waren. Das sind so Bands, bei denen selbst hier in den USA die Rede vom ›Bremen-Core‹ ist. Das ist natürlich dann völlig krass, wenn du sagen kannst, ›da komm ich her, das sind Kumpels von mir‹. Gerade eine Band wie ACME ist weltweit eine Legende – das ist das, was Bremen für immer auf eine metallische Landkarte setzen wird. Wir haben 2019 eine Headlinershow im Schlachthof gespielt und da war uns klar, dass wir eine Band aus genau diesem Umfeld als Support wollen – Carol war dann unsere Supportband. Wenn ich mich nicht täusche, war das für die dann quasi die Reunion-Show und danach haben sie wieder ein paar Japan-Dates gespielt. Wenn wir über Bremen sprechen, müssen wir aber auch über Rumble Militia sprechen, das ist eine Band, die früher schon alle mit Ehrfurcht auf dem Schirm hatten als Band, die auch überregional was reißt. Inspiriert hat mich auf jeden Fall immer, Musiker aus Bremen zu sein. Und wenn ich in Bremen bin und sehe, dass irgendwo ein Metalkonzert ist, dann geh ich da gerne hin.
Was denkst du, wie es derzeit um die lokale Szene steht?
Für meinen Podcast ›Gear of the dark‹ haben wir zuletzt eine Doppelfolge mit dem Titel ›Stirbt die lokale Szene‹ rausgebracht - wir reden da viel über früher, aber auch darüber, inwieweit man heute proaktiv sein kann, um etwas auf die Beine zu stellen. Früher haben wir Konzerte in irgendwelchen ominösen Kneipen in Walle gespielt – damals hatten wir Telefonbücher, in denen wir nach Musikkneipen gesucht und die einfach angerufen haben und gefragt haben, ob wir da spielen können. Ich würde mir echt wünschen, dass das auch heute wieder mehr diversifiziert wird. Aber beispielsweise in der Zollkantine, da gibt’s jede Menge, auch mit internationalem Booking. Wenn ihr heute zurückschaut, was habt ihr richtig gemacht, was hat euch von anderen Bands unterschieden? Nach uns hat keiner gefragt. Am Anfang von Mantar hatte ich mehrere E-Mail-Adressen mit falschen Namen – habe mich gleichzeitig als Booker, Manager, als Musiker ausgegeben und die Leute waren verwundert, was für ein großes Team hinter Mantar stecken muss. Es gab um 2013 schon einen riesigen Hype um Mantar. Das Problem ist, dass du mit deinem nächsten Schritt den Hype toppen musst – wenn du das nicht schaffst, bist du heiße Luft und dann war’s das. Für uns hat es geklappt, die nächsten Platten sind in die Charts gegangen und wir wurden erfolgreicher. Was ich vor allem aus den 1990er Jahren mitgenommen habe: Du musst das Telefon in die Hand nehmen. Ich kenn das so, seit ich Jugendlicher war, mein ganzes Taschengeld für Briefmarken und Telefonrechnungen auszugeben, um mein Demo-Tape zu verschicken. Genauso haben wir das mit Mantar auch gemacht. Was wir immer hatten, ist die Gewissheit, dass wir nicht zu sehr versuchen, uns über Mantar zu definieren. Wenn Mantar vorbei ist, ist es vorbei und dann ist es auch gut so. Die Band ist nicht mein Lebenswerk, es ist was Cooles, was ich mit Erinç zusammen gemacht habe. Mein Lebenswerk soll sein, Musikfan zu sein, gern auf Konzerte zu gehen, nicht professioneller Musiker zu sein und damit meine Rechnungen bezahlen zu können.
Kennst du aktuelle Bremer Metalbands, die du weiterempfehlen kannst?
Eine Band, die man in Bremen nennen muss, ist Gvillotine. Als wir 2020 unsere Releaseshow im Tower gespielt haben, da sind Gvillotine direkt spontan als Supportband eingesprungen, als die ursprüngliche Supportband abgesprungen ist. Außerdem würde ich gern Mörser nennen, weil ich merke, dass es einige junge Leute gibt, die die Band noch nicht kennen.