›Ein Querschnitt einer Idealform der Jazzwelt‹

ANDREAS SCHNELL

Seit 2006 findet in Bremen die jazzahead! statt, die weltweit größte Messe für Jazz-Musik. Parallel treten Dutzende Bands auf dem jazzahead!-Festival auf, unter anderem auch in der Kesselhalle des Schlachthofs. Andreas Schnell hat mit Götz Bühler gesprochen, der zusammen mit Sybille Kornitschky seit 2024 die neue Doppelspitze der Veranstaltung bildet.

Herr Bühler, Sie haben jetzt einen kompletten jazzahead!-Zyklus als Künstlerischer Berater mitgemacht. Was ist denn Ihr vorläufiges Fazit?

Es ist total anders als erwartet, aber eigentlich fast genauso, wie man mir erzählt hat.

Was hatten Sie erwartet?

Wir haben den Titel von Künstlerischer Leiter in Künstlerischer Berater geändert, um klar zu machen, dass ich nicht die Person bin, die das komplette Programm macht, sondern dass das bei den Showcases eigentlich die Jurys sind. Ich sitze zwar in allen Jurys und habe sicherlich auch einen gewissen Einfluss, aber ich gehe nicht hin und sage: Du ja, du nein, das ist nicht meine Aufgabe. Ich habe enorm viel darüber erfahren, wie so eine jazzahead! funktioniert. Ehrlich gesagt hatte ich mir vorher keine Gedanken über die Hintergründe gemacht. Sie war eben einfach da. Ach so, es ist April. Stimmt, da muss ich wieder meinen Cousin in Bremen anrufen und fragen, ob ich bei denen übernachten kann. Das ist, glaube ich, eine der wichtigen Erfahrungen, dass es nunmehr eine Ganzjahresaufgabe ist und sogar darüber hinaus. Wir sind ja auch schon in manchen Planungen im Jahr 2030, Stichwort Partnerland. Dieses Jahr war es natürlich eine Herausforderung mit drei Partnerländern – Spanien, Frankreich und die Schweiz –, die zwar Nachbarländer sind, aber trotzdem völlig unterschiedlich aufgestellt sind.

Hatten Sie sich denn erhofft, dass Sie künstlerisch mehr zu sagen haben?

Ehrlich gesagt nein. Ich bin total glücklich mit diesem Juryprozess. Es ist zum Glück ein gemeinschaftlich entstandenes Programm. Ich muss dabei vor allem auf Ausgewogenheit achten. Wenn wir in einer Jury sind, die natürlich nicht weiß, was die anderen vier Jurys entschieden haben, wir aber wissen, die haben schon drei Piano-Trios, wäre es vielleicht ganz gut, einer Gitarristin ein Forum zu geben. Wir müssen immer wieder darauf achten, warum wir die jazzahead! machen. Letztlich soll es dahin führen, dass die Leute auf Tour gehen und eine Chance haben, ihren Wirkungskreis zu erweitern. Wird es eine Bigband aus Polen schaffen, egal wie großartig sie ist, jetzt eine Tour durch Spanien zu veranstalten? Es ist viel einfacher für ein Duo-Projekt eine Tour zu buchen als für eine große Band. Deswegen ist natürlich auch immer ein bisschen die Überlegung: Wo stehen die gerade? Haben die ein Management? Haben die einen Plattenvertrag? Haben die vielleicht gute Kontakte zu ihren Förderinstitutionen, so dass es auch realistisch ist, dass die wirklich was draus machen können? Oder haben sie vielleicht sowieso mit einem anderen Projekt eine riesen Karriere?

Gibt es eine Quote für Musikerinnen?

Es gibt sozusagen eine interne Quote. Aber auch weil wir international besetzte Jurys haben, ist vieles selbstverständlicher geworden, und man muss über vieles gar nicht mehr reden. Das hat sich zum Glück wirklich geändert in den letzten Jahren. Die jazzahead! ist in gewisser Weise ein Querschnitt einer Idealform der Jazzwelt, würde ich sagen. Sie repräsentiert weder die erfolgreichsten Musiker und Musikerinnen aus den jeweiligen Ländern oder Regionen, noch die Besten, was auch immer das bedeuten mag. Wahrscheinlich könnte man argumentieren, dass XY dieses oder jenes Instrument besser spielt oder so, aber John Scofield hat sich eben nicht beworben, weil er schon eine Karriere hat und weil die jazzahead! ein Sprungbrett sein soll. Aber es ist trotzdem kein Nachwuchsfestival. Es gibt auch die Möglichkeit, und da komme ich dann tatsächlich ein bisschen mehr als künstlerischer Berater ins Spiel, in der Clubnight Bands spielen zu lassen, die es nicht in die Showcases geschafft haben, die sich aber beworben haben und wo es vielleicht auch ganz eng war.

›Erfolg ist, wenn du mit dem, was du machst, glücklich bist.‹

Wie viele der Künstlerinnen und Künstler können denn eigentlich von der Musik leben?

Ich weiß, dass die wenigsten derer, die ich kenne, vom Spielen oder vom Plattenverkauf leben. Viele der etwas Älteren sind da sicher in einer anderen Position, weil sie sich schon so etabliert haben, dass sie auch auf großen Festivals spielen. Ich glaube aber auch, dass es sehr viel mit Erwartungen zu tun hat und wie ich mich als Musikerin oder Musiker definiere. Bin ich immer noch Musikerin, wenn ich nur zweimal im Jahr eine Tour spiele, aber den Rest der Zeit lehre oder vielleicht einen ganz anderen Job habe und trotzdem noch regelmäßig mit meiner Band probe? Ich würde sagen: ja. Die wenigsten gehen diesen Weg, um reich zu werden. Das ist halt der alte, schlechte Witz: Wie wird man als Jazzmusiker Millionär? Man fängt mit zwei Millionen an. Ich habe ein Zitat von Maya Angelou gelesen, die in etwa sagte: Erfolg ist, wenn du mit dem, was du machst, glücklich bist. Wenn du Erfolg so definierst, haben wir, glaube ich, sehr viele erfolgreiche Jazzmusiker und -musikerinnen. Das erlebt man immer wieder auch auf der jazzahead!, das Gefühl, in dieser Community gehört zu werden, verstanden zu werden, aufgenommen zu sein. Das kannst du nicht kaufen.

Mittlerweile erstreckt sich die öffentliche Kulturförderung ja auch in Deutschland auf populäre Musik im weiteren Sinne. Wie steht der Jazz hierzulande da?

Ich erzähle Ihnen eine Geschichte, die mich schwer beeindruckt hat. Wir reden seit ungefähr zwanzig Jahren von diesem Fjordjazz und von den Norwegern. Was das für eine vitale Szene ist, wie toll diese Szene ist, wie gut sie ausgebildet ist, wie die Strahlkraft ist. Dahinter steckt der Gedanke: Möchten wir als Norweger in der Welt als eine Nation von Fischern gelten, die durch einen zufälligen Ölfund reich geworden sind? Oder möchten wir auch als Kulturnation dastehen? Machen wir es möglich, dass ein Nils Petter Molvaer drei Touren durch Deutschland spielt, die komplett staatlich durchfinanziert sind, und danach ein solches Standing hat, dass er das nicht mehr braucht? Ich glaube, das ist in Deutschland noch nicht ganz angekommen. Mir ist es ehrlich persönlich unangenehm, wenn ich im Ausland ankomme und die Leute mich über Bier und Autos befragen. Vielleicht noch Fußball. Wir als jazzahead! verstehen uns im weitesten Sinne als eine Art Exportbüro. Wir setzen für die German Jazz Expo bewusst Jurys drauf an, die vorrangig nicht aus Deutschen bestehen. Die Auswahl der Showcases sollen Leute treffen, die aus ganz anderen Territorien kommen. In den Jurys sitzen Personen, die Festivals machen, die für Clubprogramme zuständig sind, die sich eben aus ihrer Perspektive damit auseinandersetzen. Die wissen, ob ein Act auch außerhalb Deutschlands funktioniert.

Denken Sie, dass die Szene durch die drohenden Kürzungen im Kulturbereich bedroht ist?

Wenn man sich die Geschichte der populären Musik der letzten 50 Jahre ansieht, gab es so viele Krisen und so viele Momente, wo man gedacht hat, jetzt ist es vorbei. Jetzt kommt das Internet, jetzt laden alle umsonst die Musik runter. jetzt kommt Spotify und macht es unmöglich mit Musik Geld zu verdienen. Aber es ging weiter und es geht auch weiter. Es wird sicherlich härter werden, davon müssen wir ausgehen. Aber die Situation wird sich nicht so drastisch verschlechtern, wie sie sich verändert. Ich glaube, die Kreativität, die sowieso für diese Musik gefragt ist, wird sich auf andere Bereiche ausweiten müssen, um neue Wege auf den alten Feldern zu finden.

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