Wie würden Sie den Begriff Dritten Ort definieren?
Renée Tribbe: Der Begriff der Dritten Orte wurde zuerst von dem Soziologen Ray Oldenburg entwickelt. Dritte Orte gelten als Orte, die neben dem Privaten und der Arbeit Räume des Zusammenkommens sind. Meines Wissens bezieht Oldenburg in seiner Definition auch Kneipen und somit Orte mit Konsumpflicht mit ein. Heute wird das viel diskutiert, Bibliotheken als mögliche Dritte Orte stehen beispielsweise mehr im Vordergrund. Die Frage ist, wo sind eigentlich Orte, an denen ein Zusammenkommen mit Austausch stattfinden kann? Wo kann man ohne gewinnbringende Absicht oder Kaufabsicht zusammenarbeiten? Die Antworten auf diese Fragen können meiner Meinung nach als ein Grundverständnis für Dritte Orte gewertet werden. Wer schafft diese Dritten Orte? Wer finanziert sie? Denn meistens gehen Kosten wie Miete, Strom und Wasser mit diesen Orten einher. Weiter ist zu klären: Wie kann man solche Räume möglichst weit öffnen? Wie kann man dafür sorgen, dass sie wirklich vielen Menschen zugänglich sind? Viele gemeinwohlorientierte Initiativen arbeiten an Dritten Orten oder möchten diese schaffen oder sie versuchen, solche zu sein. Die Zugänglichkeit dieser Orte kann man sicherlich hinterfragen – kann man es überhaupt schaffen, für wirklich alle zugänglich zu sein?
An welche Praxisbeispiele denken Sie, sowohl im Blick auf internationale Projekte, aber ebenso in Bezug auf Bremen?
Meine erste Assoziation ist Skandinavien, zum Beispiel die Oodi Bibliothek in Helsinki, Finnland. Die Bibliothek als Ort des alleinigen oder gemeinsamen Lernens oder auch nur als Aufenthaltsort vereint verschiedene Funktionen in ihrer Architektur. Daher stimmt Oodi mit der Definition der Dritten Orte überein – ich war auch mal dort und fand es erstaunlich, wie das Gebäude funktioniert. Ein wirklich tolles Projekt. In Bremen kann ich aus meiner Position als Beirätin des Projektbüros Innenstadt das UMZU nennen. Ein ehemaliger Blumenladen wurde umfunktioniert zu einem Begegnungsort, der von Künstler:innen und gemeinwohlorientierten Initiativen genutzt werden kann. Das ist ein Versuch, einen Raum zu schaffen und anzubieten. Die Raumnutzung verändert sich häufig und ist bestimmt durch die Ideen der Menschen, die sich beteiligen möchten.
Welche Faktoren wären denn für langfristige Projekte notwendig und welche sind schon gegeben? Sehen Sie Lösungsansätze für eine permanente Etablierung von Dritten Orten in Bremen?
Ein sehr häufig auftretendes Problem in der Etablierung von Dritten Orten ist die zeitliche Begrenzung. Also meines Erachtens fehlt es häufig an Langzeitkonzepten, wie man diese Räume betreiben und finanzieren kann. Offensichtlich sind dazu Kommunen oder Politik doch nicht so sehr bereit, wie es wünschenswert wäre. Ich glaube, das nötige Eigenengagement und Ehrenamt, das gibt es meines Erachtens sehr viel.
Die Zugänglichkeit dieser Orte kann man sicherlich hinterfragen – kann man es überhaupt schaffen, für wirklich alle zugänglich zu sein?
Was ist eigentlich die Motivationen, warum Menschen sich um solche Orte kümmern?
Manchmal ist es der Erhalt eines Gebäudes mit besonderem Bezug. Es gibt aber auch viele Initiativen, die wirklich selbst so ein Quartierswohnzimmer schaffen wollen. Und wenn sie die Möglichkeit haben, an einen günstigen Raum wie zum Beispiel ein ehemaliges Büro zu kommen oder nur die Betriebskosten zahlen müssen, dann entstehen solche Räume. Das heißt, ich sehe die Schwierigkeit weniger bei den Menschen, die das umsetzen wollen. Ich glaube, wichtig ist dieser Zugang zu Räumen und Orten. Und ich halte es für sehr zentral, dass Städte ihre Räume in dieser Hinsicht bewusster nutzen. Damit geht auch der Besitz von diesen Orten, deren Grund und Boden einher – wenn die Immobilie der Stadt gehört, ist zeitliche Begrenzung ein weitaus kleineres Problem.
Und woran liegt es, das Dritte Orte nicht stärker gefördert werden?
Im Besonderen muss die Frage der Ökonomie nicht immer der reinen Wirtschaftlichkeit unterliegen – denn die Frage ist ja auch immer: Was ist denn wirtschaftlich? Ist der Mehrwert für die Gesellschaft auch ein wirtschaftlicher Bonusfaktor, den ich aber vielleicht nicht eben in Miete und Rendite ausrechne? Ich denke, es ist ganz wichtig, sich das zu trauen, also sich das zu leisten. Und ganz konkret sind es manchmal Schwellen wie Zugänglichkeit, Schlüsselgewalt, die bewältigt werden müssen. Wie kann man das abgeben, organisieren, sodass man da Verantwortung bewusst in einem vertrauensvollen Verhältnis abgeben und übernehmen kann? Das ist, glaube ich, sehr wichtig in solchen Kombinationen.
Kooperation und Partizipation sind folglich Bedingungen, um Dritte Orte in der Stadtentwicklung umsetzen zu können. Wie genau können solche partizipativen Projekte aussehen?
Stadtentwicklung, nicht nur explizit auf Dritte Orte bezogen, kann man meines Erachtens immer partizipativ oder partizipatorisch zu gestalten. Bei diesen Begriffen ist zu unterscheiden, dass partizipativ bedeutet, ein Projekt ist ohne die Beteiligung von Bürger:innen nicht möglich. Partizipatorisch umfasst mehr ein Angebot zur Mitgestaltung. Ehrlicherweise ist die meiste Stadtplanung ein Angebot. Man kann kommen, was sagen, man kann es aber auch lassen, es wird trotzdem entwickelt. Bei Beteiligung ist eine zentrale Frage immer die Zugänglichkeit während des Prozesses: Wie oft kann ich vor Ort sein, wo bin ich vor Ort, wie stark lasse ich mich auf den Ort ein, was schaffe ich für Möglichkeiten und für wen?
Gibt es ein Beispiel für so einen Ort?
Ich kann ein Beispiel skizzieren, bei dem Mitgestaltung im Sinne von selbst planen meiner Meinung nach gut funktioniert hat: Die Planbude Hamburg hat einen künstlerischen und planerischen Beteiligungsprozess konzipiert und durchgeführt, in Reaktion auf Evakuierung und Abriss der Esso-Häuser in Hamburg. Die Nachbarschaft sollte selbst planen können, was neu entwickelt und gebaut wird. Zwei Container waren über mehrere Monate vor Ort und für Anwohnende offen. Man hatte sechs Tage die Woche, fünf Stunden pro Tag geöffnet. Dadurch entstehen Begegnungen, die Prof. Dr. Renée Tribble Foto: Beir at Binnens tadt über die Einmaligkeit hinausgehen. Wenn Menschen vorbeikommen und immer wieder sehen, das ist ernst gemeint, ich kann hier wirklich einfach mal reinkommen, entsteht ein ehrlicher Austausch. Diese Ernsthaftigkeit, die man an diese Orte bringt und mit der man mit Menschen zusammen was erarbeiten kann, ist für eine langfristige Teilhabe elementar.
Welchen Wert sehen Sie gesamtgesellschaftlich in dem Konzept der Dritten Orte?
Dritte Orte machen neue Felder und Fragen auf: Wie identifizieren sich Menschen mit Räumen und wie trägt das zum Wohlbefinden bei? Ziel ist, mit diesem Wohlbefinden zu einer Verbundenheit zu kommen, die dazu führt, dass Menschen sich engagieren und einbringen. Das kann einen gesamtgesellschaftlichen Wert der Gemeinschaft mit sich bringen. Im besten Fall gelten Dritte Räume als eine Erweiterung des öffentlichen Raums. Dann können sie, besonders in der heutigen Zeit, über den digitalen Raum hinausgreifen und Erfahrungen des Austausches an einem physischen Dritten Ort ermöglichen.