Der erste dokumentierte Film, der homo- und transsexuelle Themen beinhaltet, ist die brasilianische Stummfilmkomödie Augusto Anibal quer casar‹ von 1923. Seitdem waren queere Charaktere regelmäßig in Nebendarstellungen lateinamerikanischer Filme zu sehen, bis LGBT*-Filme in den 1970er und 80er Jahren auch als eigenständiges Genre eine erste Blütezeit erfuhren.
Nach dem Ende der Militärdiktaturen und den darauffolgenden Demokratisierungen öffneten sich in den Ländern gesellschaftlich und cineastisch freiheitliche Themenspektren. Es wurde offener über Sexualität, Körper und Identität gesprochen und durch die progressive liberale Gesetzgebung konnten Räume erweitert werden, um diesem neu gewonnenen Freiheitsgefühl auch künstlerisch Ausdruck verleihen zu können.
Dennoch gab es auch während der Militärzensuren politischen Aktivismus und Protest, wie unter anderem der Dokumentarfilm ›Lemebel‹ von 2018 zeigt. Joanna Reposi Garibaldi portraitiert hier das Leben des Künstlers und LGBT*-Aktivisten Pedro Lemebel, der gegen den chilenischen Diktator Augusto Pinochet mit provokanten Performances aufbegehrte. Mit seiner essayistischen Form steht ›Lemebel‹ auch exemplarisch für die grundsätzlich freien Erzählmuster und Darstellungsformen im gesamten Kino Lateinamerikas. Besondere Genrefilme, die in Brasilien bereits während der künstlerisch restriktiven Militärdiktatur verbreitet waren, waren sogenannte ›Pornochanchadas‹. Diese ab Ende der 1960er bis in die 80er Jahre populären Erotikfilme zeigten häufig schwule Charaktere und kombinierten Pornos (pornô) mit seichter Komödie
(chanchada). Ähnliche Filme fanden auch unter dem Namen ›ficheras‹ in Mexico Anklang. Zwar gab es durch sie eine gewisse Repräsentanz der schwulen Community, jedoch wurden die Persönlichkeiten in der Regel stereotyp und häufig sogar despektierlich dargestellt.
Auch abseits der Erotikfilme wurden LGBT*-Charaktere im vorherigen Jahrhundert oft als nicht relevant präsentiert, zusätzlich beinhaltete das gesamte Kino Stigmatisierungen von nicht-normativen Körpern, Geschlechtern und Sexualitäten. Aktuell verändert sich dies jedoch mit dem sogenannten New Maricón Cinema, in welchem den Charakteren zunehmend mehr
Stärke und Autonomie verliehen wird. Beispielhaft dafür sind die Filme der argentinischen Regisseurin Lucrecia Martel, in denen sie heteronormative und binäre Strukturen bezüglich Gender und Sexualität kritisch beleuchtet. Zusätzlich bettet sie queere Charaktere ganz selbstverständlich in ihre Filme ein, abseits der oft reproduzierten Darstellung des ›Andersartigen‹, und trägt so zur gesellschaftlichen Akzeptanz bei. Im Widerspruch zur Offenheit im Filmischen steht die Lebenswirklichkeit queerer Menschen. Während auf institutioneller Ebene viele Länder Lateinamerikas eine Vorreiterrolle bezüglich der Antidiskriminierungs- und Schutzgesetze für LGBT+-Personen einnehmen, ist deren Realität nicht selten geprägt von Diskriminierung, Bedrohung und Gewalt.
Spätestens seit der Jahrtausendwende erlebt das queere Kino Lateinamerikas einen Boom, der auch auf internationaler Ebene für Anerkennung sorgt. So wurde Sebastián Lelios Werk ›Una mujer fantástica‹ (Eine fantastische Frau) als erster chilenischer Film 2018 mit dem Oscar für den besten fremdsprachigen Film ausgezeichnet und von Fachkritik und Publikum gleichermaßen gefeiert. Er behandelt die Geschichte einer Trans*-Frau, die nach dem Tod ihres Lebenspartners neben ihrer Trauer zusätzlich die Vorurteile ihrer Mitmenschen und Behörden bewältigen muss und trägt durch dessen feinfühlige Darstellung zu mehr Sichtbarkeit und Verständnis von Trans*-Personen bei.
Der Facettenreichtum queerer Filme spiegelt sich inhaltlich auch in der Einbeziehung weiterer marginalisierter Gruppen wieder. Wurde beispielsweise in den 80er Jahren vielfach das Thema Aids aufgegriffen, profitiert das Kino heute besonders von neueren feministischen Bewegungen und bekräftigt so, dass Diskriminierung immer vielschichtig und intersektional gedacht werden muss. Insgesamt ist das queere Kino Lateinamerikas neben seiner Vielzahl, Diversität und Aktualität besonders eines: ausgesprochen wertvoll.