Für eine gleichwertige Erinnerungskultur

Zöé BROSE

Sinti und Roma sind Teil dieser Gesellschaft – und doch bleiben wir unsichtbar. Ich bin Sintezza und lebe in Bremen, doch immer wieder erlebe ich, wie unsere Geschichte ignoriert wird. Das war selbst bei Veranstaltungen zum Holocaust-Gedenken am 27. Januar der Fall. Im Deutschen Bundestag wurden Sinti und Roma nur von den Zeitzeugen als Opfergruppe erwähnt. Und aus vielen Städten höre ich immer wieder das Gleiche: Wir wurden erneut vergessen.

Bei der Gedenkveranstaltung im Bremer Rathaus war dies zum Glück nicht der Fall. Eine von drei Opfer-Biografien, die eine 8. Klasse der Schule am Waller Ring erarbeitet hatte und verlas, war einer Sinti-Familie gewidmet. Im Hauptvortag wurden wir aber auch hier nur am Rande erwähnt.

Der 27. Januar markierte für uns nicht das Ende der Verfolgung. Die Befreiung von Auschwitz war physisch, doch Ausgrenzung, Diskriminierung und Verfolgung gingen weiter. Viele Überlebende wurden nach 1945 entrechtet, stigmatisiert und ignoriert. Behörden verweigerten die Anerkennung als Opfer, Entschädigungen blieben aus, während ehemalige NS-Täter in ihren Ämtern blieben. Antiziganismus blieb gesellschaftlich akzeptiert – in Schulen, auf dem Arbeitsmarkt und im Alltag. Bis heute kämpfen wir nicht nur um Anerkennung als Holocaust-Opfer, sondern auch gegen tief verwurzelte Vorurteile. Darum sprechen wir von einer zweiten Verfolgung – einer, die bis heute anhält.

Erinnerungslücken in der deutschen Gedenkkultur

Deutschland rühmt sich für seine Erinnerungskultur mit Denkmälern, Gedenkstätten und Museen. Doch diese Erinnerung ist selektiv. Beim Holocaust-Gedenken geht es fast ausschließlich um die Shoah. Der systematische Völkermord an 500.000 Sinti und Roma bleibt oft eine Randnotiz – wenn überhaupt. Viele wissen nicht, dass wir ebenfalls Opfer des Holocaust waren. Das liegt nicht an mangelndem Interesse, sondern an einem strukturellen Problem: Unser Leid findet in Schulbüchern, Museen oder Reden kaum Platz. Bis 1982 wurde der Genozid wortwörtlich geleugnet, denn erst in diesem Jahr erkannte die Bundesrepublik den Genozid an unseren Menschen offiziell an.

Forschungslücken

Die wissenschaftliche Aufarbeitung unserer Geschichte ist lückenhaft, und viele Aspekte unserer Verfolgung sind bis heute unzureichend dokumentiert. Die Dunkelziffer der Menschen aus unserer Minderheit, die im Nationalsozialismus und anderen Verfolgungen ermordet wurden, ist enorm. Vieles bleibt im Dunkeln, weil es lange kein Interesse an einer systematischen Erforschung gab. Selbst bei Aufarbeitungsversuchen werden oft problematische Begriffe wie ›Porajmos‹ verwendet, die nicht aus unserer eigenen Sprache stammen und unsere Perspektive verfälschen. Auch unsere Selbstbezeichnungen werden ignoriert oder verändert, anstatt unsere eigene Terminologie und Sichtweise zu respektieren.

Was sich ändern muss

Sinti und Roma müssen in der Erinnerungskultur gleichwertig behandelt werden. Es darf nicht sein, dass wir jedes Jahr aufs Neue um Sichtbarkeit kämpfen müssen. Auch in der Schulbildung fehlt unsere Geschichte fast völlig, obwohl unsere Minderheit systematisch verfolgt und fast ausgelöscht wurde. Die Nachkriegsverfolgung bleibt unerforscht, viele Überlebende wurden weiter stigmatisiert, Entschädigungen blieben aus, Täter behielten ihre Ämter.

Antiziganismus muss in Bildung und Forschung konsequent aufgearbeitet werden. Wir sind Teil dieser Gesellschaft – doch solange wir in Schulbüchern, Gedenkveranstaltungen und der historischen Aufarbeitung unsichtbar bleiben, besteht die Ungerechtigkeit fort.

Eine Erinnerungskultur, die Sinti und Roma nur am Rande erwähnt, bleibt unvollständig. Wir sind kein Nachtrag der Geschichte – wir sind ein Teil davon. Und wir kämpfen weiter, weil das Unrecht, das an unseren Vorfahren begangen wurde, bis heute nachwirkt. Anerkennung und Gerechtigkeit dürfen keine Frage des Engagements Einzelner sein, sondern müssen selbstverständlich sein.